Berufsunfähigkeit – BGH bestätigt bisherige Rechtsprechung zur Anknüpfung der Berufsunfähigkeit auf einen untrennbaren Teil der Gesamttätigkeit
Der BGH in seinem Urteil 19. Juli 2017 erneut bestätigt, dass es bei der Anknüpfung für das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht (nur) auf die Zeitanteile der entsprechenden Tätigkeit ankommt, sondern insbesondere, ob diese einen untrennbaren Teil der Gesamttätigkeit ausmachen. Viele Berufsunfähigkeitsversicherer tendieren jedoch dazu, der Einfachheit halber an die Gesamttätigkeit anzuknüpfen, da so die Hürden des Erreichens der Berufsunfähigkeit deutlich höher liegen. Versicherte sollten stets darauf achten, dass auch eine Bewertung einzelner Tätigkeitselemente, bei denen eine Berufsunfähigkeit vorliegt, im Hinblick auf die Übrige Tätigkeit vorgenommen wird und bei untrennbaren Tätigkeitselementen auf das Vorliegen der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit verweisen.Untrennbar können z.B. prägende Tätigkeitselemente sein, wie etwa das Leiternsteigen bei einem Dachdecker , das Tragen schwerer Lasten bei einem Gerüstbauer oder das Autofahren bei einem Taxifahrer. Erkennt Ihr Versicherer Ihre Berufsunfähigkeit nicht an? Holen Sie sich professionelle Unterstützung! Das BGH-Urteil (Urt. v. 19. Juli 2017, IV ZR 535/15) im Volltext: Leitzsatz: “Für die Bemessung des Grades der Berufsunfähigkeit darf nicht nur auf den Zeitanteil einer einzelnen Tätigkeit abgestellt werden, die der Versicherungsnehmer nicht mehr ausüben kann, wenn diese untrennbarer Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorgangs ist.” (Bestätigung des Senatsurteils vom 26. Februar 2003 – IV ZR 238/01, VersR 2003, 631). BGH, Urteil vom 19. Juli 2017 – IV ZR 535/15 – OLG Stuttgart) Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Bußmann auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juli 2017 für Recht erkannt: Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Ober-landesgerichts Stuttgart – 7. Zivilsenat – vom 12. November 2015 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Tatbestand: Die Klägerin macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (AVB) und deren Besondere Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (im Folgenden: BB-BUZ) zugrunde liegen. Nach § 1 Abs. 1 BB-BUZ erbringt die Beklagte Leistungen im Falle mindestens 50 %iger Berufsunfähigkeit. Nach § 2 Abs. 1 BB-BUZ liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen außer Stande ist, ihren Beruf, so wie er in gesunden Tagen ausgeübt worden ist, weiter auszuüben. In § 2 Abs. 2 BB-BUZ heißt es: “Ist die versicherte Person sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande gewesen, ihren Beruf oder – nach Maßgabe von Absatz 1 – eine andere Tätigkeit auszuüben, so gilt dieser Zustand von Beginn an als Berufsunfähigkeit.” Bei Abschluss des Vertrages im Februar 2007 war die Klägerin vollschichtig als angestellte Hauswirtschafterin in einer Münchener Anwaltskanzlei beschäftigt. Ihre Aufgaben bestanden im Wesentlichen darin, die Kanzleiräume zu putzen, Einkäufe zu erledigen und den Mittagstisch für ca. 15 bis 30 Personen zuzubereiten. Am 20. März 2007 stürzte sie eine Treppe hinunter und war danach für längere Zeit krankgeschrieben. In der Folgezeit befand sie sich unter anderem aufgrund psychischer Probleme sowie Rücken- und Wirbelsäulenbeschwerden in ärztlicher Behandlung. Die Klägerin macht geltend, seit dem Treppensturz in ihrem Beruf zu mehr als 50 % berufsunfähig zu sein. Aufgrund ihrer erheblichen Rückenbeschwerden könne sie nicht mehr putzen, keine schweren Einkäufe mehr tragen und auch nicht mehr mehrere Stunden täglich in der Küche arbeiten. Sie leide unter anderem an einer somatoformen Schmerzstörung bzw. einem chronischen Schmerzsyndrom und könne infolgedessen lediglich drei Stunden am Tag als Haushaltshilfe (leichte Helfertätigkeit) arbeiten. Seit 2011 ist sie in einem Privathaushalt tätig. Im Revisionsverfahren streiten die Parteien noch um die Begehren der Klägerin auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente ab April 2007 und Feststellung ihrer Beitragsfreiheit. In den Vorinstanzen ist die Klage mit diesen Anträgen erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. BGH Urteil Berufsunfähigkeit Entscheidungsgründe: Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dieses hat gestützt auf die Erklärungen der Sachverständigen, die in erster Instanz schriftliche Gutachten erstattet haben und in beiden Vorinstanzen ergänzend mündlich gehört worden sind – ausgeführt, dass der Klägerin der Nachweis mindestens 50 %iger Berufsunfähigkeit nicht gelungen sei. Sowohl der neurologisch-psychiatrische Sachverständige PD Dr. B. als auch der unfallchirurgisch-orthopädische Sachverständige Prof. Dr. M. hätten für ihr Fachgebiet jeweils nur eine Be-rufsunfähigkeit von 20 % feststellen können. Der Berufungssenat mache sich deren plausible, nachvollziehbare und überzeugende Ausführungen zu Eigen. Insbesondere hätten die Sachverständigen den Vortrag der Klägerin zum Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung berücksichtigt. Der Sachverständige PD Dr. B. habe in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und überzeugend erläutert, warum die in dem in einem sozialgerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachten des Herrn Dr. D. enthaltene Diagnose nicht zutreffe. Auch eine dauerhafte rezidivierende depressive Störung sei nicht anzunehmen. Eine Depressivität, die möglicherweise „über eine gewisse Zeit“ bestanden haben möge, sei nach den Ausführungen des Sachverständigen jedenfalls abgeklungen bzw. symptomfrei und deshalb für das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ohne Bedeutung. Die Zuordnung der jeweils festgestellten Berufsunfähigkeit von 20 % zur konkreten Tätigkeit der Klägerin in gesunden Tagen sei unter Beachtung des zutreffenden Prüfungsmaßstabs ebenfalls nachvollziehbar, plausibel und überzeugend begründet, wobei der Sachverständige PD Dr. B. noch erklärt habe, dass ein Teil der Schmerzen sicher auch orthopädisch bedingt sei, so dass eine Addition von 20 % + 20 % nicht statthaft sei, sondern nur eine gewisse Erhöhung. Auf der Grundlage des unfallchirurgisch-orthopädischen Gutachtens von Prof. Dr. M. sei zwar davon auszugehen, dass die Klägerin Probleme beim Tragen schwerer Einkaufslasten habe, dies mache aber zeitlich keinen großen Anteil aus. Es ergäben sich aus den Ausführungen der Sachverständigen schließlich keine Anhaltspunkte dafür, dass die von ihnen festgestellten Einschränkungen im streitgegenständlichen Zeitraum jemals ein höheres Ausmaß besessen hätten. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Das Berufungsgericht hat bei seiner Befassung mit dem unfall-chirurgisch-orthopädischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. einen unzutreffenden, von der Senatsrechtsprechung abweichenden Maßstab zugrunde gelegt. a) Dieser Sachverständige hat zunächst in seinem schriftlichen Gutachten angenommen, dass bei der Klägerin ein HWS- und LWS-Syndrom vorliege, die daraus resultierenden Funktionseinschränkungen aber nur mit 20 % zu bewerten seien. Er hat dies damit begründet, dass längerfristige Arbeiten mit gebeugtem Oberkörper und ähnlichen Zwangshaltungen nicht