Gilt die Zehnjahresfrist für Arglistanfechtung ohne Einschränkung?

Urteil für die Arglistanfechtung geltende Zehnjahresfrist

 
Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25. November 2015 (BGH, Urt. v. 25.11.2015 – IV ZR 277/14) gilt die für die Arglistanfechtung geltende Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB als absolute Zeitgrenze.

Mit der Frage, ob die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgeschriebene Zehnjahresfrist für Arglistanfechtungen (§ 124 Abs. 3 BGB) ohne jegliche Einschränkungen gilt, befasste sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 25. November 2015.

Das Landgericht Stuttgart sowie das Oberlandesgericht Stuttgart hatten zuvor die Klage einer Alleinerbin abgewiesen, die von der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes die Rückerstattung von Versicherungsprämien für eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) gefordert hatte.

Zur Chronologie des Streitfalls: Der seit 1994 zugunsten ihres Ehemannes bei der Versicherung von zwei früheren Arbeitgebern unterhaltene Lebensversicherungsvertrag wurde zum 1. März 2002 aus Anlass eines Arbeitgeberwechsels in die Gruppenversicherung der neuen Arbeitgeberin überführt und dabei um die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erweitert.

In weiterer Folge nahm die Versicherung eine Risikoprüfung vor. Im Februar 2002 verneinte der Versicherte alle ihm schriftlich gestellten Fragen nach gesundheitlichen Störungen, obwohl er zu dieser Zeit bereits an Morbus Parkinson erkrankt war. Am 5. April 2002 stellte die Versicherung den Versicherungsschein aus. Ab August 2008 war der Versicherte infolge eines Gehirntumors, nachfolgender Rezidivbildungen und seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung bis zu seinem Tode im Jahre 2013 berufsunfähig. Im Januar 2012 machte er bei der Versicherung erstmals Leistungsansprüche aus der BUZ geltend, wobei er angab, seit 1990 an Morbus Parkinson und seit Juli 2008 an dem Gehirntumor erkrankt zu sein. Mit Schreiben vom 18. Juli 2012 focht die Versicherung ihre Vertragserklärung zum Abschluss der BUZ wegen arglistiger Täuschung an und lehnte eine Beitragsfreistellung in der Lebensversicherung ab.

Das Landgericht Stuttgart und Oberlandesgericht Stuttgart erkannten die Nichteinhaltung der Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB an: die angefochtene Vertragserklärung war am 5. April 2002 abgegeben und die Arglistanfechtung erst am 18. Juli 2012 erklärt worden. Dennoch erachteten sie die Anfechtungserklärung als wirksam, da § 21 Abs. 3 VVG eine vom allgemeinen Recht abweichende, spezielle Regelung enthalte. Der Gesetzgeber habe sich nicht auf die in § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG geregelte Fünfjahresfrist beschränkt, wenn der Versicherungsfall bereits vor deren Ablauf eintrete. § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG erweitere die fünfjährige Frist auf zehn Jahre, wenn das Rücktritts- oder Kündigungsrecht des Versicherers auf vorsätzlichem oder – wie hier – arglistigem Verhalten basiere. Dabei erfordere der Schutzzweck des § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG, dass auch die Zehnjahresfrist aus Satz 2 der Regelung nur dann Ausschlusswirkung entfalte, wenn nicht der Versicherungsfall vor Fristablauf eingetreten sei. Diese Einschränkung der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG müsse erst recht für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gelten.

Der Auffassung widersprach der BGH und gab der Rückzahlungsklage der Witwe statt, da nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB die Prämienzahlung des Versicherten ohne Rechtsgrund erfolgt sei. Die in § 21 Abs. 3 VVG enthaltene Fristenregelung für die Wahrnehmung der Rechte des Versicherers aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG habe auf die Wirksamkeit der Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB und die Rechtsfolgen ihrer Versäumnis keinen Einfluss. In dem Zusammenhang verwies der BGH explizit auf den Gesetzeswortlaut: § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG stelle einleitend klar, dass die nachfolgende Fristenregelung des § 21 Abs. 3 VVG nur die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG betreffe. Zudem bestimme § 22 VVG, dass das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, „unberührt“ bleibe, so dass hier allein die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB gelte.

Der BGH gelangte zur der Schlussfolgerung, dass in solchen Fällen „allein die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB gelte“ und § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG dem entspreche.

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