Kann BU-Versicherer bei Nichtangabe depressiver Verstimmungen vom Vertrag zurücktreten?

Kann ein Berufsunfähigkeitsversicherer von einem Vertrag zurücktreten, wenn der Versicherungsnehmer bei Vertragsabschluss Stimmungsschwankungen bzw. depressive Verstimmungen nicht angeführt hat? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Oberlandesgericht Braunschweig am 2. Dezember 2015

Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit werden pro Jahr rund elf Millionen Tage der Arbeitsunfähigkeit durch über 300.000 depressive Erkrankungsfälle verursacht. Die Tendenz ist steigend, wie von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe bestätigt wird: jeder fünfte Bundesbürger erkrankt einmal im Leben an einer Depression. Aufgrund der komplexen Symptomatik der Depression ist eine Abgrenzung zu periodisch auftretenden depressiven Verstimmungen nicht immer einfach.
Im Mittelpunkt des vor dem OLG Braunschweig verhandelten Falls (OLG Braunschweig, Urt. v. 2.12.2015, 3 U 62/14) stand eine Frau – die Klägerin -, die nach Ansicht des Versicherers – der Beklagten – bei Vertragsabschluss bewusst psychische Beschwerden nicht angegeben habe. Der Versicherer argumentierte, dass die Klägerin bereits seit ihrem 10. Lebensjahr unter depressiven Verstimmungen leide. Da sie diese risikoerhebliche Krankheit verschwiegen habe, liege eine vorsätzliche, mindestens aber eine grob fahrlässige Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht vor. Zudem habe die Klägerin gegenüber Ärzten in einer Klinik angegeben, bereits vor dem Jahr 2000 an Depressionen gelitten zu haben. Aus diesem Grund erklärte der Versicherer den Rücktritt vom Vertrag. Dem Rechstreit vor dem OLG Braunschweig war bereits ein Verfahren vor dem Landgericht Braunschweig vorausgegangen.
Zur Chronologie des Streitfalls: Die Klägerin hatte am 20.9.2004 einen Antrag auf Abschluss einer BU-Versicherung gestellt, am 2.5.2005 erhielt sie den entsprechenden Versicherungsschein. Im August 2008 wurde bei ihr eine mittelschwere depressive Episode und Krisensituation diagnostiziert; bis Oktober 2008 befand sie sich in Behandlung bei einem Allgemeinmediziner und einem Psychotherapeuten. Von November 2009 bis Juli 2011 war sie arbeitsunfähig und wurde psychiatrisch und psychologisch in ambulanten und stationären Einrichtungen behandelt.
Im April 2011 beantragte sie dann die vertraglich vereinbarte BU-Rente und zwar rückwirkend ab dem 18.11.2009, woraufhin der Versicherer seinen Rücktritt vom Vertrag erklärte.
In seinem Urteil vom 2.12.2015 bestätigte das OLG Braunschweig zunächst, dass das Landgericht im vorherigen Verfahrensgang zu Recht den Fortbestand der Berufsunfähigkeitsversicherung festgestellt habe: der erklärte Rücktritt vom Versicherungsvertrag sei unwirksam, da der Versicherer seinen Rücktritt wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflicht nicht innerhalb der in den Versicherungsbedingungen festgeschriebenen Ausschlussfrist von fünf Jahren erklärt habe, die außerdem auch gesetzlich geregelt sei (vgl. § 21 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz VVG 2008). Im vorliegenden Fall hatte der Versicherer seinen Rücktritt nach Ablauf der Ausschlussfrist erklärt.
Auch auf eine verlängerte Ausschlussfrist von zehn Jahren (vgl. § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG 2008) konnte sich der Versicherer nicht berufen, da einerseits die Versicherungsbedingungen eine solche Verlängerung nicht vorsahen und andererseits das OLG Braunschweig eine vorsätzliche oder arglistige Anzeigepflichtverletzung nicht zu erkennen vermochte.
Die Beweisaufnahme des Oberlandesgerichtes ergab, dass die Klägerin nicht durchgängig seit ihrem 10. Lebensjahr an psychischen Beschwerden gelitten habe, die sich „wie ein roter Faden durch ihr gesamtes Leben ziehen“. Auch wenn sie gegenüber den sie behandelnden Ärzten Angaben zu früheren depressiven Episoden gemacht habe, spreche dies noch nicht für das Vorliegen von mehr als nur belanglosen und vorübergehenden Beschwerden.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes könne der Versicherungsnehmerin lediglich der Vorwurf gemacht werden, dass sie die ggf. bis zur Vertragsannahme neu auftretenden psychischen Beschwerden fälschlich als nicht gefahrerheblich bewertet habe. Angesichts der Schwierigkeit bei der Abgrenzung zwischen bloßen Stimmungsschwankungen und anzeigepflichtigen psychischen Beeinträchtigungen läge insoweit nur leichte Fahrlässigkeit vor, die nach § 19 Abs. 3 Satz 1 VVG zu einem Ausschluss des Rücktrittsrechts führe.

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