GDV-Statistik: Zahlen lassen sich nicht verifizieren

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) hat am 6. Januar 2016 erstmals eine Branchenstatistik zur Berufsunfähigkeitsversicherung veröffentlicht, welche die anhaltende Kritik an der mangelnden Leistungsbereitschaft von BU-Versicherern aber nicht entkräften kann.

In den letzten Jahren ist die mangelnde Leistungsbereitschaft von BU-Versicherern verstärkt in den Fokus der medialen Berichterstattung geraten: die Versicherer würden zu viele Leistungsanträge ablehnen, die Bearbeitung verschleppen und darauf spekulieren, dass die mit dem Prozedere oftmals überforderten Antragsteller irgendwann einfach aufgeben. Tendenziell steigend beschäftigen sich deutsche Gerichte mit BU-Streitfällen.

Angesichts dieser Kritik hat der GDV erstmalig eine Branchenstatistik zur Berufsunfähigkeit erstellt, die jedoch zahlreiche Fragen aufwirft.

Der Statistik zufolge erkannten BU-Versicherer im Jahr 2014 rund 40.200 Anträge ihrer Kunden auf Leistungen der Berufsunfähigkeitsversicherung an. Die Leistungsquote – das Verhältnis von anerkannten zu eingereichten Leistungsanträgen – lag bei annähernd 77 Prozent. Zwischen vollständigem Leistungsantrag und der Leistungsentscheidung vergingen im Durchschnitt 13 Kalendertage.

Auf den ersten Blick scheinen die Zahlen, die auf Angaben der Versicherungsunternehmen basieren, auf eine positive Leistungsbereitschaft hinzudeuten. Jedoch lassen sie sich nicht verifizieren. Interessant in diesem Zusammenhang wäre eine detaillierte Aufschlüsselung der Quote: Beziehen sich die 77 Prozent auf die Anträge, die mitsamt aller geforderten Unterlagen vorlagen und auch ob der Vollständigkeit halber bearbeitet wurden? Oder sind in die statistische Berechnung dieser Quote zum Beispiel auch Anträge eingeflossen, die zwar eingereicht (!), aber vom Kunden nicht in der geforderten Form vervollständigt bzw. zurückgezogen worden sind? Ein Beispiel: ein Kunde stellt z. B. einen Leistungsantrag, erhält dann von der Versicherung einen entsprechenden Fragebogen und wird dazu aufgefordert, diesen auszufüllen und entsprechende Unterlagen beizufügen bzw. der Versicherung eine Genehmigung zu erteilen, Krankenakten bei Kassen und Ärzten einzuholen. Wenn der Kunde nun den Fragebogen nicht ausfüllt und an der Beschaffung der versicherungsrelevanten Informationen mitwirkt bzw. den Antrag nicht weiterverfolgt, fällt dann ein solcher Leistungsantrag, der de facto ja eingereicht wurde, auch in die Berechnung der Leistungsquote? Dazu macht der GDV keine Angaben, das heißt, es lässt sich nicht verifizieren, ob die eingereichten Leistungsanträge auch tatsächlich alle vollständig vorlagen und bearbeitet worden sind oder ob ein bestimmter Prozentsatz der eingereichten Leistungsanträge nicht weiterverfolgt wurde.

Im Umkehrschluss zeigt die Statistik, dass bei einer angeblichen Leistungsquote von 77 Prozent (40.200 Anträge) rund 12.000 Anträge abgelehnt wurden, das heißt, 12.000 Versicherungsnehmer hatte angeblich keinen Anspruch auf im Ernstfall existenzielle Leistungen aus ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung. Zu den Gründen der Leistungsablehnung macht der GDV keine Angaben, obwohl gerade hier ein hohes Maß an Transparenz zur Glaubwürdigkeit von Versicherungsunternehmen beitragen würde – und zwar im Sinne einer stärkeren Kundenorientierung. Fühlen sich Kunden zum Beispiel bereits durch die gesamte Verfahrensabwicklung ohne professionelle Hilfe überfordert und machen dabei entscheidende Fehler? Haben Kunden die Versicherungsbedingungen nicht richtig verstanden und sind gar nicht berufsunfähig? Haben medizinische Gründe zur Ablehnung geführt? War der Prognosezeitraum nicht erfüllt? Oder konnten die Versicherungsnehmer auf einen anderen Beruf verwiesen werden?

Interessant an der Statistik ist auch die angegebene Bearbeitungszeit: Zwischen vollständigem Leistungsantrag und der Leistungsentscheidung vergingen im Durchschnitt rund 13 Kalendertage. Dr. Peter Schwark, Mitglied der GDV-Hauptgeschäftsführung, sagte dazu: „Die Unternehmen leisten – schnell und unkompliziert.“ Was er nicht sagt, ist, dass der GDV auf die Angabe der Gesamtdauer (!) der Leistungsprüfung verzichtet, die nicht grundsätzlich „schnell“ erfolgt. Denn auch diese Zahl verschleiert, dass oftmals bis zur Vorlage des vollständigen Leistungsantrags, einschließlich aller geforderten und nachzureichenden Unterlagen, mehrere Wochen bzw. mehrere Monate vergehen können.
Auch die Aussage des GDV, dass nur bei rund sechs Prozent aller Leistungsanträge von den Versicherern Gutachten beauftragt worden seien, ist kritisch zu hinterfragen, da aus der Statistik nicht hervorgeht, ob sich die Zahl auf externe und/oder interne Gutachter bezieht: Versicherungsunternehmen beschäftigen zunehmend interne Gutachter, die dann bei dem Versicherungsunternehmen angestellt sind.

In Hinblick auf die Annahme von Versicherungsanträgen gibt der GDV an, dass insgesamt rund 823.000 Anträge auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung gestellt worden und rund 47.000 Anträge abgelehnt worden seien. Rund 776.000 der gestellten Anträge haben zu einem Versicherungsangebot geführt. Aufschlussreich hier ist die Verwendung des Wortes „Versicherungsangebot“: Wie viele Versicherungsangebote dann tatsächlich zum Abschluss einer Versicherung geführt haben, lässt der GDV offen. Genauso wie sich der GDV über die Ablehnungsgründe ausschweigt.
Die Veröffentlichung der Statistik ist nur ein erster Schritt in Richtung zu mehr Transparenz – die Aussagekraft der genannten Zahlen lässt noch sehr zu wünschen übrig.

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